Unter „Soundtrack“ im Zusammenhang mit Kinofilm versteht man allgemein fast ausschließlich die (orchestrale) Filmmusik, welche oft auch als „Soundtrack“ eigenständig veröffentlicht und verkauft wird.
Aber was hört man tatsächlich im Kino?
Der „SOUNDTRACK“ eines Kinofilms ist heute eine komplexe Textur aus Musik, Atmosphären, Effekten, Special Effects, Handlungsgeräuschen und Sprache.
Gestalter dieses Soundtracks ist meistens ein Team von Mischtonmeister, Komponist und Sounddesignern/Soundeditoren. So selbstverständlich diese Teams an der Gesamttextur eines Film-Soundtracks arbeiten, so selten arbeiten sie in der Regel wirklich zeitlich und örtlich zusammen.
Dabei spielt neben der Filmmusik das Sounddesign/der Tonschnitt die tragende Rolle zur Gesamtkomposition eines Film-Soundtracks.
„Sounddesign“ als Terminus taucht im Filmabspann seit Ende der siebziger Jahre auf und bezeichnete anfänglich die gesamte Arbeit an einem Soundtrack für einen Film (exklusive der Filmmusik). Da gerade seit den späten siebziger Jahren die Tontechnik durch einen Innovationsschub weiter gebracht wurde, ermöglichten insbesondere die Erfindungen in der Rauschunterdrückung und der Codierung mehrerer Spuren in einer Stereospur, dass sich die kreativen Möglichkeiten für Tonleute im Film erweiterten und zu einer neuen Aufmerksamkeit in der Gestaltung der Film-Tonspur führte. Gleichzeitig bemerkt man auch eine Zunahme der in der Postproduktion an der Tongestaltung beteiligten Personen. Um diese nun in ihrer Funktion wieder voneinander getrennt zu bekommen, kam es zur inflationären Entwicklung von Bezeichnungen wie Sounddesign, ADR-Recording, ADR-Editing, Foley-Recording, Foley-Editing, Re-Recording, Sound-Editing, Sound-Supervising usw. (siehe dazu auch die Berufsbilder im Filmton).
Noch differenzierter wurde das bei effektträchtigen Filmen, wo es zusätzlich noch Special-Effects-Design oder Creature-Sounddesign oder ähnliches gibt.
Gerade weil im Kreationsprozess dieser Effekte ein großes Maß an „Design“ neuer bis dato ungehörter Klänge gefragt ist, wurde der Begriff des Sounddesigners gerade in den letzten Jahren synonym mit dem des Special-Effects-Designers. Soundeditor bezeichnet dann auch heute meistens den „Sounddesigner“, der für den gesamten Schnitt und das Kreieren der einzelnen Sound-Stems verantwortlich zeichnet. Aktuell gibt es dazu eine Diskussion um den wiederzubelebenden „Director of Sound“, der sowohl der organisatorische, als auch vor allem der künstlerisch/gestalterische Leiter des gesamten Soundteams (auch der Musik) sein kann und soll…
Ein Film funktioniert nach strukturellen Kriterien, ist im wesentlichen aber dem „Storytelling“ verpflichtet. Diesem „Storytelling“ sind alle am Film beteiligten Künstler und Handwerker zugeordnet, resp. untergeordnet. Aus dieser nun fast einhundertjährigen entwickelten Form des Storytellings haben sich allerdings auf allen Ebenen der Kunstform Film eigene künstlerische Verfahrensweisen entwickelt, die auch aus einer simplen Story ein hochartifizielles und damit zeitlich-strukturiertes Kunstwerk machen können.
Da der Film niemals stumm war - auch nicht in der fälschlicherweise so bezeichneten Stummfilmära - hat sich in seiner ca. 30-jährigen Entwicklung bis zur Einführung des Tonfilms zunächst eine Filmmusikpraxis entwickelt. Die Entwicklungsgeschichte der Filmmusik als Begleitung zu Stummfilmen gab Raum für die Entwicklung sämtlicher Muster und Klischees, die Filmmusik größtenteils bis heute kennzeichnen. Sie sorgte aber auch dafür, dass der Berufsstand des Filmkomponisten für die Filmbranche von Anfang an geschätzt wurde. Die um dreißig Jahre verzögerte technische Entwicklung des Tonfilms führte leider dazu, dass die Ende der zwanziger Jahre rasch - zumeist aus dem Rundfunk - integrierten Tonleute zunächst lediglich nach technischen Erfordernissen im Filmprozess beschäftigt wurden.
Leider blieb das für weitere vierzig Jahre m.A. so, bis eben gegen Mitte/Ende der siebziger Jahre eine neue Generation von Filmemachern, beeinflusst durch die in der damaligen Popmusik eingeführte High-Fidelity und Mehrspurtechnik, auch ein anderes Verhältnis zum Ton im Kino bekam. Die Aufwertung des „Sounddesigns“ durch diese Generation führte dazu, dass die Entwicklung von Tontechnik bis auf das heutige Niveau von Digital-Surround-Ton oder aktuell zunehmend 3D-Audio gebracht wurde, aber auch zunehmend für Ton konzipierte Kinos gebaut werden.
Seit der Umstellung des Tonschnitts in den neunziger Jahren auf Digitale Audio Workstations (DAW) sind auch im Ton-Kreationsprozess „Instrumente“ vorhanden, die ein schnelles und effizientes Umgehen mit Unmengen von Tonfragmenten auf einem System möglich machen.
Genau zu diesem Zeitpunkt - Mitte/Ende der neunziger Jahre - setzt neben der technischen auch wieder eine inhaltlich-ästhetische Diskussion über den Filmton ein und es verwundert nicht, dass das vom Komponisten Michel Chion schon Anfang der neunziger Jahre auf französisch und seit 1995 auch in englisch verfügbare Standardwerk
„Audio-Vision“ zur Grundlage dieser Diskussion wurde. Gerade Ende der Neunziger und in den ersten 10 Jahren des 21. Jahrhunderts diskutierten führende amerikanische Sounddesigner, wie Walter Murch oder Randy Thom auf Konferenzen, in Fachzeitungen oder in Webforen die Möglichkeiten und den Stellenwert von Sounddesign für Film.
Michel Chions Beobachtungen und Analysen gehen soweit, dass er die Existenz eines eigenständigen „Soundtracks“ zu Filmen in Frage stellt, da diese „Soundtracks“ ja zum Bewegtbild entwickelt werden, mit diesem interagieren und Audio, wie Video sich durch die Gleichzeitigkeit gegenseitig so stark in der Wahrnehmung beeinflussen, dass man diese nicht voneinander trennen kann, ohne deren symbiotische Wirkung im Film zu beschädigen. Grotesk mutet vor diesem Verständnis eine Trennung der Soundtrackgewerke Sounddesign und Musik-Komposition, wie sie bis heute - zum Teil unabhängig voneinander - betrieben wird.
Sounddesign-Konferenzen vor allem in London, aber auch in Iowa, Sydney und längere Zeit auch in Köln taten ein Übriges, diesen Diskussionsprozess zu forcieren und waren ebenfalls Novitäten der neunziger Jahre, die zumindest in London (School of Sound) bis heute fortgesetzt wird. Diesem Diskussionsprozess gemeinsam war zunächst das Erkennen der gestalterischen Möglichkeiten von Soundtracks in einer eigenständigen kompositorischen Bedeutung. Leider ist in den vergangenen Jahren seit ca. 2010 eine Renaissance der Verbeugung vor der „Filmmusik“ unter Vernachlässigung der Diskussion um Sounddesign oder gar Audio-Vision zu konstatieren. Diese Verbeugung ist - wie fast immer - kommerziellen Interessen geschuldet, da sich Filmmusik als „Sonder-Klassik-Programm“ oder gekoppelt mit Popmusik-Messen gut vermarkten lässt. Die hierzulande demzufolge zunehmenden „Filmmusik-Events“ verlagern ihr Hauptinteresse auf die „klassische“ Filmmusik und diskutieren in damit verbundenen Konferenzen und Veranstaltungen lediglich musikhandwerkliche oder im besten Fall instrumentalkompositorische Fragestellungen. Wird das Thema Filmton/Sounddesign überhaupt einmal mit auf die Agenda gesetzt, geht es meist lediglich um technische oder produktions-anekdotische Fragen.
Die internationale Diskussion - vor allem in der „School of Sound“ in London - erweitert den Diskurs um das Sounddesign aktuell um die Fragestellungen zu den Wechselwirkungen von Bild zu Ton und Ton zu Bild - also letztendlich um Fragen der Montagekunst, wie auch in weiter zu erforschende Gebiete der akustischen- und der Klangkunst, bis hin zur neuen Musik und zur Soundscape-Komposition.
Es ist im 21. Jahrhundert überhaupt nicht mehr einsehbar, warum mit „Soundtrack“ - wie zu Stummfilmzeiten - immer noch nur die künstlich dazu komponierte Filmmusik gemeint ist, die dann natürlich auch als solche - eben als Musik im konventionellen Sinn - losgelöst vom Gesamt-Soundtrack weiter vermarktet werden kann. Dass zu diesen Soundtracks gleichermaßen Geräusche, Atmosphären und vor allem auch Sprache gehören, wird aus dem Wahrnehmungs-Bewusstsein über den zum Bild wirkenden Ton m.A. weitestgehend ausgeblendet. Aber auch die seltenen Versuche, Gesamt-Soundtracks losgelöst vom Film auf Tonträger zu veröffentlichen (z.B. Apocalypse now), behaupten m.E. eine Qualität als Hörspiel, verkennen aber die Veränderung der Wahrnehmung eines solchen Soundtracks durch die Wegnahme des auf diesen Ton bezogenen Bewegtbildes. Ob vor dem Hintergrund der Entwicklung, Filme zunehmend auf Computermonitoren oder gar auf Handydisplays anzuschauen, gehofft werden darf, dass avancierte Soundtracks zu diesen Bildern überhaupt wahrgenommen werden, darf mit Recht angezweifelt werden.
Ein von seinem Bild losgelöster Filmton egalisiert sich, wird horizontal in seiner Wahrnehmung und schafft allenfalls zeitliche Verknüpfungen von Wiederkehrendem oder variiert Wiederkehrendes durch Erinnern, Vergleichen und Assoziieren. Andererseits fällt der von seinem Ton getrennte Bildstrom auseinander, wird zu einer Abfolge von zusammengeklebten Einzelbildern oder Einstellungen. Ganze Erzählstrecken, die durch Ton einen Fluss haben, über Schnitte hinweg miteinander verbunden werden oder Orts- und Zeitsprünge klar machen, werden zum Teil zu unverständlichen, ja unlogischen Montagen. Kommen beide Wahrnehmungsebenen zusammen, fließt der Film. Tonereignisse, die vorher keine besondere Relevanz hatten, stechen nun heraus, da sie durch das Bild verstärkt werden. Bilder, die vorher unlogisch miteinander verknüpft schienen, haben nun wieder eine „organische“ Verbindung. Ganze Montagestrecken werden zu phrasierten Bögen durch den unterlegten Ton, sei es Musik, sei es eine durchgehende und in sich variierte Atmo-Textur, sei es Sprache.
Zum Thema Sprache - eine Schicht der Tongestaltung - findet im Moment zunehmend ein Diskurs der „Autorenhoheit“ statt. Wer setzt die Sprache im Film? Der Drehbuchautor, gar ein Dialogautor, der Regisseur oder der Tongestalter. Durch die Voco- resp. Verbozentrierung des Films gebührt der Sprache im Filmton immer die höchste Aufmerksamkeit. Warum aber reduziert sich bis heute das Was und Wie in der Off-Text-Setzung, in der Off-Screen-Sprache und im Dialog auf das, was ein Autor VOR der Symbiose einer Montage von Bewegtbild zu Ton auf Papier verfasste?
Was Sounddesigner, resp. Soundeditoren und Sound-Supervisor idealerweise schon im Montageprozess heute für den Ton zum Film (durchaus als Ko-Autoren) leisten, ist die eigentliche Filmmusik und bedarf konsequent gedacht eigentlich nur noch sehr dezidiert und sparsam gesetzter Instrumentalmusik, um dem Medium „Film-Soundtrack“ gerecht zu werden!
Natürlich wird der „klassische“ Filmkomponist nicht überflüssig. Er ist vielmehr ein wichtiger Mitarbeiter für die Gesamttextur eines Soundtracks. Wer diesen Gesamt-Soundtrack komponiert - oder besser gesagt leitend gestaltet - ist letztendlich nicht abhängig von einer Konzentration auf harmonisches oder geräuschhaftes Material. Vorstellbar und zum Teil auch heute schon praktiziert ist eine Zusammenarbeit von Sounddesigner und Filmkomponist, so dass die Grenzen zwischen harmonischen und geräuschhaften Klängen fließend werden und man über die kompositorische Emanzipation der Sounddesign-Ebene zu einem durchkomponierten, verflochtenen Soundtrack kommt, der eben nicht mehr nur von harmonischer Klanggestaltung abhängig und damit traditionellerweise nur von einem Komponisten gestaltet werden kann.
Von daher ist der Austausch an Berufserfahrung zwischen Komponisten (nicht nur Filmkomponisten) und Sounddesignern auf praktischer und didaktischer Ebene die Arbeitsweise der Zukunft. Die „Tonregisseure“ sollten dabei gleichzeitig auch selbstverständliche Partner von Drehbuchautor, Regisseur und Editor von der Konzeptionsphase bis hin zur Endmischung sein. Alle Seiten können von einem solchen Austausch enorm profitieren und werden durch gemeinsames Schaffen langfristig zu einem neuen kompositorischem Umgang mit den Klängen im Film, wie mit dem Medium Audio-Vision führen. Wo dies schon erreicht ist, erfüllt sich auch die schon in den vierziger Jahren von Adorno-Eisler aufgestellte Forderung nach einer dem neuen Medium Film angemessenen „Musik“, die sich nicht mehr der Plünderung von Musikklischees aus der dafür nie komponierten Musik der gesamten Musikgeschichte bedienen muss, oder alternativ dazu nur noch klanglich-emotionale Effekte setzt.
Gleichzeitig ist grundsätzlich zu begrüßen, dass den zahlreichen Filmmusik-Auszeichnungen im Rahmen von Filmfestivals auch Auszeichnungen für gelungene Filmton-Gestaltungen resp. spezielle Reihen in den Filmmusikfestivals an die Seite gestellt werden. Vielleicht verleiht man sogar eines Tages einem Sounddesigner (resp. Sound-Supervisor oder einem Team von Komponist und Tongestalter) den Filmmusik-Oscar oder die Ton-Lola?