âEs gibt immer KlĂ€nge zu hören, und alle sind sie vortrefflichâ (John Cage â âSilenceâ)
Wo kommen nur die Töne her? Man kann sich mit der technischen ErklĂ€rung der Ăbermittlung durch Schallwellen zufrieden geben und erstaunt sein, was fĂŒr komplexe Tongemische die zwei Löcher an den Kopfseiten zum Gehirn senden ... analysieren, zuordnen ...
Man kann sich auch an der Vorherrschaft des Auges orientieren, die unsere Kultur der letzten 150 Jahre dominant geprĂ€gt hat: âIch glaube was ich seheâ - und nicht verwundert sein ĂŒber den metallischen Klang eines Schmiedehammers auf dem Amboss, ĂŒber den unertrĂ€glichen LĂ€rm eines hochlaufenden Flugzeugpropellers, ĂŒber das kleine, wie nebensĂ€chliche Schluchzen eines Kindes, welches gerade minutenlang weinte und dessen Schmerz nun ausklingt.
Man kann KlĂ€nge lieben, weil sie - egal aus welchen GrĂŒnden - einfach da sind. Man kann Stille lauschen oder LautstĂ€rke wie eine Droge erleben; man kann beruhigt werden oder unkonzentriert.
Töne wirken auf Menschen universell, metaphysisch, emotionell. Einen Ton zu hören ist eine sehr persönliche Sache. Musique ConcrĂšte - Pionier Pierre Schaeffer sagte: âJeder hört etwas anderes.â
Töne werden mal weniger, mal mehr wahrgenommen, da wir aber die Ohren nicht zuklappen können, hören wir auch in unbewussten Momenten wie dem Schlaf. Wir hören immer und wir hören mehr, als wir bewusst wahrnehmen. Töne wirken subversiv, schleichen sich in unser Leben als Erfahrungswert, als Richtwert fĂŒr Emotionen ein. Instinktiv drehen wir das Autoradio leiser, wenn wir wĂ€hrend der Fahrt eine StraĂe suchen - man braucht Ruhe fĂŒr die Konzentration. Entspannt liest man ein Buch im Park, umgeben von rauschenden Baumkronen, die an eine Urlaubsstimmung am ebenso rauschenden Meer erinnern. GerĂ€usche scheinen das entscheidende emotionale Glied fĂŒr die Wahrnehmung einer RealitĂ€t zu sein.
Mithilfe der Erfahrungen aus dieser RealitÀt bauen wir uns mit der modernen Form des Selbstbildnisses, dem Kino, dem Film, eine Kunstform.
Wir Menschen taten das schon immer - Höhlenmalerei, Antikes Theater, Oper, Photographie. Immer stellen wir uns selbst vor einen Spiegel, damit wir (unter Zuhilfenahme des Abstands) realer bleiben als im Alltag.
Pierre Schaeffer erfand den Begriff des Reduzierten Hörens, der einem Ton, unabhÀngig von seiner Herstellquelle, eine Lebensberechtigung zuordnet. Ein entstandener Ton ist nunmehr nicht nur ein Endergebnis eines Vorgangs, sondern separiert davon allein, eigenstÀndig und fast mystifiziert erfahrbar.
Diese FÀhigkeit des menschlichen Ohres, oder besser: Gehirns, selektieren zu können, einen Basslauf in einer Musik zu lauschen, eine einzige Stimme auf einer Party aus vielen Stimmen heraus hören - wie eine akustische Lupe funktionierend - gleicht dem Prozess der kreativen Arbeit der Filmtongestaltung. Hier werden Dialoge, GerÀusche, atmosphÀrische KlangflÀchen und Musik getrennt, um diese vielschichtigen Töne dann einzeln bearbeitet zu einer unzertrennlichen Einheit zusammenzumischen.
Wasser z.B. kann fĂŒr ein Filmbild ĂŒber seine Menge, rĂ€umlich-flĂ€chige GröĂe, Tonfarbe, Resonanz, Entfernung, LautstĂ€rke verschieden eingesetzt werden. WasserplĂ€tschern am Ufer klingt anders als rhythmische, sich in Zyklen bewegende Wellen, oder das ohnmĂ€chtige Rauschen beim Anblick eines endlosen Ozeans.
Beim Sounddesign des Films âEngland!â (D 2000, Achim von Borries) nahm ich diese verschiedenen Töne, um dem selbstmörderischen Endstadium eines todkranken Mannes ĂŒber diese AtmosphĂ€ren eine EmotionalitĂ€t zu geben. BerĂŒhrt von ans Holz plĂ€tschernden Wellen, die wie ein subjektiv erfahrener Ton wirken, eingebettet in den Wellenrhythmus eines Herzschlages, den er mehr und mehr verliert, wirkt er im Holzboot treibend wie im Sarg liegend. Eine Totale dröhnt mit ihrem gewaltigen Meeresklang weit entfernt, so dass man das GefĂŒhl von enormer Einsamkeit bekommt. Der Mann ist verloren.
Gerade der Filmton, mit seiner wunderbaren Eigenschaft, subversiv - sozusagen versteckt und âheimlich, still und leiseâ - zu wirken, schleicht sich mit einer neuen Form der authentischen Wahrnehmung in unser (Unter-)Bewusstsein ein. Dort lernen wir menschliche Emotionen, weitverzweigte und -verteilte Aktionen mit âihremâ Ton nicht nur zu verknĂŒpfen, sondern oft nur darĂŒber zu erfahren. Ein GroĂteil der Menschheit lernt den zweiten Weltkrieg, die Weite der Landschaft in der Mongolei, oder das mĂ€chtige, allschluckende Wasser bei einem ĂŒbernatĂŒrlichen Meeressturm im Schiff nur durch das Kino akustisch kennen. Man verbindet diese Ereignisse mit der EmotionalitĂ€t der (Film-) Hörerfahrung. Es handelt sich aber keineswegs um âihreâ Töne. Sie alle sind sorgfĂ€ltig gesucht, zusammengesetzt und gemischt von den kreativen Arbeitern der Sound-Postproduktion. FĂŒr ein Ziel - sei es Action oder Poesie.
Auch fĂŒr kleine, filmalltĂ€gliche Ereignisse, wie AutozusammenstöĂe, MĂ€nnerschlĂ€gereien, Schritte auf einsamer StraĂe oder einen Herzschlag, werden Töne regelrecht gebaut. Sie sind nicht wahr. Aber wir glauben, was wir hören, und das bringt eine neue RealitĂ€t in unser Ohr.
Töne und GerĂ€usche - die heimlichen Hauptdarsteller. Das HĂ€mmern auf die Brust des Megaaffen King Kong. Das Ausfahren eines Lasers aus dem Schwert und der Kampf damit. Der Schlag eines Boxerhandschuhs auf den Bauch und das Gesicht des GegenĂŒbers. Selbst wenn in Action- oder Westernfilmen Glasflaschen auf anderen Köpfen zerschlagen werden, handelt sich es sich hier glĂŒcklicherweise um Filmrequisiten aus Zucker, denen erst ein Ton gegeben werden muss, um authentisch zu wirken.
GerĂ€usche im Kino können, seit die Tonebenen durch Dolby und digitale AufschlĂŒsselung durchlĂ€ssiger geworden sind, die Stofflichkeit von Dingen und Ereignissen darstellen und auf diese Weise bewusst eingesetzt werden. Das Zerbrechen von Glas und das Zu-Boden-Fallen von Splittern ist zu einer emotionalen Erfahrung gewachsen, wie auch die nahezu knisternden GerĂ€usche eines Mundes, der sich langsam und genussvoll auf einen Kuss vorbereitet.
FrĂŒher spielten die GerĂ€usche im Kino eine untergeordnete Rolle. Die Aufnahme- und Wiedergabetechnik schrĂ€nkte die authentische Wiedergabemöglichkeit von GerĂ€uschen so sehr ein, dass sie eher wie eine BelĂ€stigung empfunden wurden. Bei gĂ€ngigen Synchronisationen auslĂ€ndischer Filme verlieĂ man sich lieber auf EinzelgerĂ€usche, die wie Symbole wirkten: Eine Hupe fĂŒr StraĂenverkehr, ein Vogel fĂŒr eine Natursituation. Schritte, Stimmen und im Bild verankerte deutliche EinzelgerĂ€usche wie TĂŒrenschlagen oder PistolenschĂŒsse bestimmten die HaupttonflĂ€che eines Films.
Als uns Ton- und Mischmeister Walter Murch mit den Filmen âThe Conversationâ und âThe Godfatherâ die Ohren öffnete und mit âApocalypse Nowâ einen Surround-Ton einlĂ€utete, der heute Standard geworden ist, sind die filmschauenden Menschen zu Kinohörern geworden.
Erst seitdem ist ĂŒber die Jahre ein neues Berufsbild der kreativen Tonarbeit in der Phase nach dem Bildschnitt entstanden. Es bildet sich aus dem Kopf des Ganzen, dem Supervising Sounddesigner und Soundeditoren der einzelnen Abteilungen - Dialog- und Effektschnitt, Arbeit an den atmosphĂ€rischen Tönen, Musikschnitt. Bei einem aufwĂ€ndigen, groĂfinanzierten Film gibt es eine gewaltige Anzahl von tonrelevanten Namen im Abspann zu lesen. Aber auch die engagierte Arbeit von einer kleinen Crew kann einen Film groĂ werden lassen.
Neben den non-linearen SchnittplÀtzen, die die Handarbeit mit TonbÀndern, Klebematerialien und Schnitthobeln, sowie die Begrenzung lediglich 2 bis 4 Spuren auf einmal hören zu können, ad acta gelegt haben, gehört zur sorgfÀltigen Sound-Postproduction immer noch das Entscheidende: Inspiration, Improvisation, Innovation.
Das die filmische ErfahrungsrealitĂ€t bildende Element ist die Selektion. Simpel ausgedrĂŒckt: Man nimmt Bild und Ton getrennt auf, um es, nach ebenso getrennter Bearbeitung schlieĂlich immer noch getrennt im Kinoraum zu prĂ€sentieren. Der eigentliche Film entsteht im Kopf des Zuschauers. In der speziellen Tonarbeit wird innerhalb der Tonkonzeption selektiert, um mehr kreativen EinfluĂ auf ein Gesamtbild zu bekommen.
In einem Interview mit Walter Murch 2008 berichtete er mir von einem interessanten akustischen Effekt bei dem Tonschnitt des Films âThe English Patientâ (USA/UK 1996 Anthony Minghella). Eine Unterhaltung in der WĂŒste erschien auf seltsame Weise irreal und kĂŒnstlich, fast als sei ein Dialog aus einer Sprecherkabine direkt in einen tonspezifisch sorgfĂ€ltig konzipierten und vielfĂ€ltig geschichteten Film hineingerutscht. Er stellte fest, dass es daran lag, dass in dieser Windstille der WĂŒste fast kein atmosphĂ€rischer Ton vorhanden war. Die SĂ€tze erschienen trocken, realitĂ€tsfern, ja fast bedrĂŒckend. So addierte er Wind und wehende SandgerĂ€usche hinzu, um den âleeren Tonraumâ als wahr und realitĂ€tsnah darstellen zu können.
Im Magazin âFilm & TV Kameramannâ spricht der Filmeditor Wolfgang Widerhofer ĂŒber Ă€hnliche Erfahrungen mit der Abwesenheit von Tönen beim in der NĂ€he von Tschernobyl gedrehten Film âPripyatâ (AT 1999 Nikolaus Geyrhalter): âDie Strahlung sieht man zwar nicht, aber sie ist prĂ€sent in ... der Stille. Man hört kaum etwas. Das ist ganz unheimlich, fast wie in einem Horrorfilm. Der O-Ton ist sehr reduziert und dadurch sehr artifiziell.â
Also kann auch das Fortnehmen von Elementen, die zur Hörerfahrung gehören, besonders zur RealitĂ€tserfahrung von Ereignissen ĂŒber die Tonebene, diese verĂ€ndern und ein neues Hörbild hervorrufen. Demnach wĂ€re die Negation von Ton - nĂ€mlich kein Ton - auch ein Ton!
Das Schweigen und die Stille bekommen eine kreativ einsetzbare Bedeutung.
In der Praxis der Filmarbeit sollten Originaltonaufzeichnung, wie auch die Nachbearbeitung von Tönen einen groĂen Spielraum erhalten. Das Geheimnis interessanter Kino-Ton-Erfahrung liegt da, wo auch das Geheimnis jeglicher Töne und von jeglichem Hören im Leben liegt: in ihrer Unsichtbarkeit. Bewusst und ebenso âleiseâ kreieren Sounddesigner, Tonmeister, GerĂ€uschemacher, Musiker in der Welt der Audiokunst die BrĂŒcken zu sozialer und emotionaler RealitĂ€tserfahrung. Ton ist eine internationale Sprache.