Ein Film soll eine Geschichte (einen Zustand, eine Entwicklung) in die Köpfe der Zuschauer transportieren. Dafür stehen die Sinne „Sehen“ und
„Hören“ zur Verfügung, die sich ergänzen und zu einer Gesamtwahrnehmung verschmelzen sollten. Die Beurteilung der künstlerischen Teilaspekte eines Filmwerkes ist immer subjektiv und muss es auch sein! Wichtiger als alles handwerkliche Können ist dabei immer die Frage der dramaturgischen Relevanz. Ein Toneffekt kann handwerklich hervorragend gemacht sein, inhaltlich aber überaus störend wirken!
Grundsätzliche Fragen zur Tongestaltung
Passt die Tongestaltung zum Charakter des Films?
Ton ist immer ein Teilaspekt der Gesamtwahrnehmung und sollte weder zum Selbstzweck verkommen noch qualitativ abfallen. Ton, der mehr will als der Film zulässt, bzw. weniger ist als der Film erfordert, wird ihm nicht gerecht.
Schafft der Ton eine eigene dramaturgische Ebene?
Erzählt der Ton Dinge, die wir ohne ihn anders wahrnehmen würden, oder beschränkt er sich auf eine Verdoppelung des Gesehenen? Bringt er die Geschichte voran? Deutet er Unwichtiges lieber nur an und fokussiert auf Wichtiges? Sind die Details sinnvoll, oder nur wahlloses Füllwerk? Ermöglicht der Ton Einblicke und einen Zugang zum Film, den wir ohne ihn nicht hätten? Hilft der Ton die Geschichte zu entwickeln, indem der Zuschauer akustisch gelenkt wird?
Andererseits: Stört vielleicht der misslungene Versuch, mit dem Ton Dinge zu erzählen, die nicht glaubwürdig sind? Wurde versucht, schlecht inszenierte Handlung über den Ton zu erklären?
Ist ein Konzept erkennbar, oder herrscht ein wildes "Tonchaos"?
Die Tongestaltung sollte eine konsistente Qualität und Charakteristik im Sinne eines inneren Zusammenhalts haben. Dies spricht nicht gegen ausgefeilte Brüche, Verwerfungen oder bewusste Stilwechsel in der Tondramaturgie! Beispiel: Einem Film, bei dem sich ohne erkennbaren Grund Passagen mit fast unbearbeitetem atmolosen Studio-Dialogton und schlechtem Sprachsynchron mit geschliffenen sphärischen Klangcollagen abwechseln, kann man keine gute Tongestaltung bescheinigen. Die Beurteilung der Tongestaltung sollte sich immer auf das Gesamtkonzept der Tondramaturgie des Films beziehen, nie auf Sequenzen oder Teilaspekte.
Wie arbeiten Tongestaltung und Musik miteinander?
Tongestaltung ist ein sehr subtiles Mittel. Oft entfaltet sie am Rande der Wahrnehmbarkeit ihre stärkste Wirkung. Interessant ist die Frage, wie Musik und Tongestaltung ineinander greifen. Lässt die Musik überhaupt einen Spielraum? Doppelt die Musik – anstatt eine eigene dramaturgische Ebene darzustellen – Bild- und Tonereignisse nur musikalisch auf? (Extremfall: Mickeymousing, das stummfilmartige Illustrieren von Bewegungsabläufen).
Wie ist die Gesamtwirkung des Tons?
Arbeiten die Ton-Ebenen gut miteinander? Wirkt alles wie aus einem Guss? Sind die Dialoge gut eingebettet in die Gesamtvertonung und trotzdem gut zu verstehen? Haben die Atmos Tiefe, die Sprache Plastizität? Ist die Mischung dynamisch? Werden Spannungsbögen gebaut? Sind kontrastierende, leise Stellen vorhanden? Definieren sich diese nur durch die schlichte Abwesenheit von Ton oder hat die Stille Substanz? Sind laute Ereignisse nur Krach oder klug strukturiert und aufgebaut? Rauher, schmutziger und brüchiger Ton kann von hoher künstlerischer Qualität sein – oder einfach nur schlecht bearbeitet.
Aspekte (auch technische) der einzelnen Tonebenen
Auch wenn es um eine künstlerische Beurteilung der Tongestaltung geht, so kommt es doch auch auf die handwerklich-technische Qualität des Tonschnitts und der Mischung an.
Dialog bzw. Originalton
Ist der Dialog gut aufgenommen und sauber geschnitten? Erreicht der Dialog einen selbstverständlichen Fluss oder wird dieser gestört durch Atemabrisse, abgeschnittene Hallfahnen, zu scharfe Zischlaute, "off-ige" Dialoge, offensichtliche Atmosprünge bei Umschnitten, schlecht eingearbeitetes Sprachsynchron? Ist der Dialog über weite Teile asynchron und ungenau bearbeitet? Die Dialoge sollten durch ihren Inhalt leben. Es sollte eine fließende Selbstverständlichkeit erreicht werden, die nicht durch qualitative Mängel gestört wird und dadurch vom Eigentlichen ablenkt.
Synchrongeräusche (Foley)
Erreichen die Synchrongeräusche eine homogene Verschmelzung mit dem O-Ton bzw. Sprachsynchron? Wirken die Aktionen selbstverständlich und spürt man die Akteure und deren Motivation sich zu bewegen? Oder wirken die Geräusche künstlich und aufgesetzt (tapsige unpassende Schritte, alle Bewegungen gleichförmig klingend durch mangelnde Variation, Asynchronität, unpassende Geräusche, falsches Gewicht: zu leichte oder schwere Schritte/ Bewegungen)?
Effekte
Sind sie dramaturgisch sinnvoll und glaubwürdig gearbeitet? Steigern sie die Intensität der Geschehnisse, ohne sich von ihnen zu lösen? Sind sie interessant gestaltet, ohne sich in den Vordergrund zu drängen? Ist die Bearbeitung detailliert und vielfältig? Oder ist beispielsweise dreimal hintereinander derselbe Archiv-Schuss angelegt?
Atmosphären
Sind die Atmos homogen, interessant, detailreich? Sind sie zu gleichförmig oder überdetailliert? Verbindet sich die Umgebung stets glaubwürdig mit der nahen Umgebung der Akteure, oder wirkt die Atmo „aufgesetzt“? Ortet man das Geschehen in einem weiteren Umfeld und kann man sich ein Bild von der weiteren Umgebung eines Innenraums machen?
Die einzelnen Tonelemente sollten zueinander in einer eben solchen sinnvollen Beziehung stehen wie die gesamte Tonebene zum Bild.